Freitag, 5. Oktober 2012

Vegan in Hintertupfingen







„Echt? „ Das glaub ich nicht, du bist wieder nach Hintertupfingen gezogen?"

Für meine alte Schulfreundin Irina war es das Ulkigste, was man wohl tun kann, nach achtzehn Jahren Leben in Berlin, vier Jahren in München und zwei Jahren bayerischer Idylle. Die Berge konnten mich nicht halten, die Sehnsucht nach meiner Familie und dem Wald hier war groß, und mein Freund Karl, übrigens auch Veganer, fand die Idee ganz spannend. So zogen wir mit unseren felinen Mitbewohnerinnen Lucy und Zwacki letztes Jahr im Frühling hierher.
Freue mich immer noch wie ein Schneekönig, wenn ich an vertrauten Plätzen, am Ententeich, dem alten Kloster, meiner Schule vorbeigehe, auch über die uralten Waldwege, die ich wieder entdecke.Wundere mich aber auch über manche Regeln, zum Beispiel, wie ein Garten auszusehen hat.Das ging so weit , dass ich, nachdem wir im Vorgarten auf  dringenden Wunsch der Nachbarn (“ Das kann ja rüberwehn“) die Blütenstände der wunderschöenen Stockrosen entfernt hatten, trotzig einen alten Gartenzwerg hinein gestellt habe. Wenn schon( spießig) , denn schon.
In das Gemüsebeet lasse ich mir aber nicht reinreden, und die biovegan angebauten Kohlrabi, Bohnen, Zucchini, Ringelblumen, Kräuter wachsen schön, auch ohne tierischen Dünger!

Gibt’s denn hier überhaupt was für  Veganer? Lust uns mal auf einen Nachmittag in die Fußgängerzone zu begleiten?
Also los.
Erster Anlaufpunkt ist der  Eine-Welt-Laden, dort gibt es kleine Packungen mit kandierten Ingwerstückchen, veganer geht’s gar nicht, und eine Sorte Weingummidelphine ohne Gelatine. Nicht allein das macht dieses Lädchen so anziehend, die haben ja auch diese hübschen Korbsachen, Stoffe und Gewürze. Außerdem sitzen da immer echt nette Leute drin, mit denen man plaudern kann. Als ich einmal gefragt habe, woher das  Leder für die indischen Geldbeutel sei, und was für Leder es sein kann, weil ja in Indien Kühe heilig wären, hat ein Mitarbeiter den Katalog nach den Infos durchsucht. Er möchte da auch mal nachfragen , weil ihn das selbst so wundert, sagte er uns.
Weiter geht’s, vorbei an Schlachter Punsink, es riecht furchtbar,- irgendwie nach roher Leber-, aus dem dunklen Geschäft mit den Fliesen und dem langen Tresen. Dazu gehört ein Imbiss, am Stehtisch beißt gerade ein Hintertupfinger in irgendetwas Schlimmes, nicht hinschauen und weiter. Als Vegetarier ging das jahrelang, doch seitdem ich vegan lebe, scheint meine Nase empfindlicher zu sein, ich kann den Geruch kaum aushalten.
Gegenüber am Platz das Reformhaus, ein Lichtblick, es kommt mir nach Punsink vor wie eine Oase der Friedfertigkeit.
Wir betreten es, Karl sucht sich eine vegane Apfeltasche aus, ich erstehe meine Lieblings-Tartex, die Sorte „Winzer“. Tartex hat gerade 50-jähriges Jubiläum und sie haben für eine limitierte Auflage die alten Packungen für die Sorten Delikatess und Kräuter gedruckt.
Es waren die einzigen Aufstriche, die ich kannte, als ich mich Ende der Achtziger entschloss, Vegetarierin zu werden. Da gab es die Sorten „Exquisit“, „Delikatess“, „Champignons“ und eine mit Tomaten. Ja, Leute, das war´s an Auswahl!
Damals als Veggie hat man in  Restaurants  gebackenen Camembert oder Gemüsebeilagen gegessen und jeder hat orakelt, dass man bald durch einen Eisenmangel entkräftet würde. Damals wusste man nicht viel über pflanzliche Ernährung, dass sie alles enthält, was der menschliche Organismus braucht. Selbst der Hinweis auf sich pflanzlich ernährende Gorillas oder Elefanten änderte nichts am besorgten Gesichtsausdruck des Gegenübers. Naja, ist ja heute auch noch manchmal so.
Die Nostalgie-Tartex  haben wir uns natürlich gleich gekauft und die Schildchen aufbewahrt. Darauf sieht man eine 60iger-Jahre-Frau mit gestärkter Schürze, die eine Stulle hochhält , dazu der Spruch: „50 Jahre Genuss aus Freiburg - nach einer Originalrezeptur von 1962.“ Etwas für oldschool-Veganer!
Jetzt gehen wir zur Eisdiele. Dort gibt es Sojaeis, Schokolade und Vanille! Und das sehr lecker.Waren wir fröhlich, als wir das entdeckt haben letzten Sommer. In Großstädten gibt es zwar schon vegane Eisdielen, hier ist wirkliche ein Highlight, dass sie vegane Sorten haben. Heißt es doch für uns, dass wir uns auch mal zum Eis essen dort hinsetzen und nicht nur gekauftes, bestelltes veganes  Eis zuhause essen können!
Die vegane Sprühsahne haben wir dabei, denn heute wollen wir einen Eiskaffee trinken.
Es ist sehr voll draußen, doch ein Tisch wird gerade frei. Wir setzen uns, bestellen beim netten rotbekittelten Kellner : "Wir hätten gern zwei Eiskaffee mit Sojaeis ohne Sahne". Der höfliche Mann stutzt wirklich nur ganz leicht, notiert es artig und umkreist weiter die Tische.
Ein Ehepaar, beide um die 60, nähert sich unserem Tisch, fragt, ob die beiden Plätze noch frei wären, wir bejahen. Sie ist sorgfältig geschminkt, hat eine Brille mit goldenem Rand  und ist in so Boutiquenchic gekleidet, weiß mit schillernden Pailetten- er ganz lässig in Jeans und hellblauem Poloshirt -wahrscheinlich  vom örtlichen Herrenaustatter Putzelmann.
Sie haben gerade die Köpfe in die aufgeklappte bunte Karte gesteckt, als der Kellner mit unseren  Eiskaffees herangerudert kommt.
Mit der Ankündigung: „Zwei Diabetikereiskaffee, bittschön.“ stellt er die Pokale vor uns auf den Tisch.
Die beiden Köpfe gehen gleichzeitig hoch und schauen neugierig auf die Becher und dann auf uns.
„ Möchten Sie schon etwas bestellen, die Dame?“, fragt der Kellner im selben Moment.“ „Danke, nein. Wir gucken noch“, antwortet der Mann, obwohl er ja gar nicht gefragt wurde.
Sie studieren weiter die Eiskarte, während ich langsam die Sprühsahne aus der Tasche ziehe. Erst etwas zögerlich, doch dann sag ich mir, „hey du traust dich sonst ganz andere Sachen, also hopp“. Außerdem ist mir das wichtig, solche Miniängste zu überwinden, denn ich weiß ja, wie sehr die Tiere wegen des unreflektierten Milchkonsums leiden müssen. Also sollten wir Veganer tapfer sein, auch wenn wir anecken oder auffallen. Ich frage auch immer beim Bäcker, in Cafés und Läden nach den Zutaten.
Und die leckere „Hau wech“ Sprühsahne gehört einfach auf den Eiskaffee. Also nur Mut! Ich schüttele kurz, halte die Dose über Karls Becher und sprühe drauflos. Ein schönes Top mit einem gelungenen Kringel entsteht. Muss ich noch erwähnen, mit was für Gesichtsausdrücken das Ehepaar mittlerweile ausgestattet ist?
Dann halte ich die Sahne über meinen Eiskaffee, sprühe drauflos, ein komisches Schnattern kommt aus dem Blech, pff pfff und viele kleine weiße Sahnefetzen verteilen sich explosionsartig über dem Tisch, sprenkeln Poloshirt, Goldrandbrille, meine Bluse, Karls Sonnenbrille..
Stille. Auf einmal höre ich ein heiseres Lachen, der Mann fängt an, dann gackert die Frau los und  wir halten es auch nicht mehr aus. Der ganze Tisch lacht und  Leute an den Nebentischen müssen mitlachen, auch wenn sie teilweise gar nicht wissen, warum.
Der Kellner steht plötzlich da.“Möchten Sie etwas bestellen?“ „Ja“, sagt der Mann: Wir hätten gern vier Tamazotti!“ „Und einen  Lappen“, ergänze ich kleinlaut.

Anschließend  haben wir uns übrigens noch sehr gut unterhalten. Haben ihnen erklärt, dass wir Veganer sind und warum, und sie waren richtig interessiert. Vor allem die Frau ist sehr nachdenklich geworden und hat mir ihre Emailadresse gegeben, damit ich ihr Rezepte und Infos schicken kann, was ich auch gemacht habe. Sie hat sich bei Rezeptefuchs registriert und uns sogar einmal mit einer Einladung zu einem veganen Erdbeerkuchenessen bei ihnen im Gartenhäuschen überrascht.

Da dachte ich bei mir:
Es lässt sich ja doch ganz gut leben  als Veganer in Hintertupfingen.

*Susanne* 





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