Montag, 15. Oktober 2012

1 Jahr vegan- Mein Veg


Ich liebe Fleisch. Den Geschmack. Die Textur. Die Konsistenz. 

Ich liebe Tiere. Ihre Anmut. Ihre Friedfertigkeit. Ihren Geschmack?

Nein, Tiere sind doch nicht zum Essen da! Tiere haben doch auch Rechte, warum soll man sie töten?

So oder so ähnlich habe ich wohl geantwortet, als ich das erste Mal erfahren habe, dass Fleisch nicht auf Bäumen wächst und für jedes Steak, jedes Würstchen, jedes noch so kleine Stück Fleisch ein Tier grausam ermordet wird. 
Doch ich wurde davon abgehalten, meinen Drang, Gutes zu tun auszuleben, denn "man müsse ja Fleisch essen", ansonsten stirbt man. Man fällt einfach so tot um. Sieht man ja.


Das erste Mal wurde ich bewusst mit diesem Thema konfrontiert, als meine Eltern sich eines Abends "We Feed the World" im Fernsehen anschauten. Ich war ca. 12 Jahre alt.
Bis heute läuft mir ein Schaudern über den Rücken, wenn ich mich an diese eine Szene erinnere, die mich bis heute verfolgt. 

In der Szene wird das "Sexing" von Küken gezeigt. Die weiblichen wandern auf einem Förderband zur Aufzucht, um wie ihre Mütter zu enden. Die männlichen sind wertlos und landen im Schredder. 

Ja, im Schredder. 

Ich glaube, man kann sich vorstellen, wie man als Zwölfjähriger reagiert, wenn man sieht, wie unschuldige Tiere massenhaft zu Mus verarbeitet werden. 
Ich zumindest habe angefangen, zu weinen. Und zwar hysterisch. Ich wollte nie wieder Fleisch essen, nie wieder Eier essen, ich wollte mit diesem ganzen Wahnsinn einfach nichts mehr zu tun haben.
Doch wieder wurde mir "bewusst gemacht", dass dies eben ein notwendiges Übel sei und Tiere sowieso keine Schmerzen empfinden. 
Und man muss ja Fleisch essen, ansonsten stirbt man.Man fällt einfach so tot um. Sieht man ja.


Als ich 16 war, erzählte mir eine gute Bekannte, dass sie auf dem "Veggie Street Day" in Dortmund war und nun vegan werden möchte. Da ich ein guter Zuhörer bin, informiert man sich natürlich.

Zuerst die Webseite von LUSH. OK, es gibt also vegane Kosmetik, toll. 

Dann die Seite von peta2.de. 

Und auf einmal kam alles wieder hoch. Schon alleine, als ich auf der Unterseite zum Thema "Eier" war, wurde mir schlecht. Ich sah wieder die Bilder von gequälten Tieren und flauschigen, unschuldigen, gerade geschlüpften Kreaturen, die im Schredder landen.

Doch diesmal entschied ich mich, nicht aufzugeben. Ich klickte weiter.

Milch.
Ich liebte Milch. Zeitweise lag mein Milchkonsum bei (ungelogen!) einem Liter pro Tag. Aber, hey? Was soll's? Milch ist doch gesund. Kalzium und so. So stand es jedenfalls in den CMA-Broschüren, die wir immer in der Grundschule bekommen haben. Zusammen mit einem Klassensatz Kakao. Ich konnte das Wort "Marketingagentur der Deutschen Agrarwirtschaft" früher aussprechen, als ich das Wort "Tier" und "Rechte" zusammenfügen konnte. 
Und der Begriff "Marketingagentur" war bei mir keinesfalls negativ besetzt. Wenn sich jemand schon so Mühe gab, eine farbenfrohe Broschüre zu erstellen und eine der zigtausend glücklich grasenden Kühe zu fotografieren, so muss der Inhalt der Broschüre ja wohl wahr sein, oder?

Außerdem wäre es schließlich total unverantwortlich, keine Milch zu trinken. Sonst platzt den Kühen ja der Euter und sie haben furchtbare Schmerzen. Und wer will anderen schon Schmerzen zufügen?

Als ich die peta2-Seite sah, brach mein gesamtes Weltbild im Bereich Ernährung zusammen. 

Milch entzieht dem Körper mehr Kalzium, als es spendet.
Den Kühen werden ihre Kälber geklaut, damit diese das "weiße Gold" nicht trinken. Die Kälber werden getötet und als "Kalbfleisch“ verkauft.
Kühe brechen unter ihrer hochgezüchteten Last zusammen, in Milch finden sich teilweise Blutreste, Eiter und so weiter und so fort.

Ich konnte nicht mehr. Ich konnte wirklich nicht mehr. Gefesselt und doch zugleich fassungslos saß ich vor meinem Computer. 

Und plötzlich wurde mir so viel bewusst. 
Meine gesamte Ernährung basierte auf Lügen.
Auf Qual. 
Auf Ausbeutung der schlimmsten Art.

Ich war Mitglied von Amnesty International, doch ich hinterfragte mein eigenes Konsumverhalten nicht. Ich war gegen Kinderarbeit in Sweatshops und Ausbeutung, und trotzdem aß ich jeden Tag Fleisch?

Mir wurde schlagartig bewusst, was für ein schizophrenes Verhältnis ich zu Tieren hatte. Ich unterteilte in Haus- und Nutztiere, so wie andere in Über- und Untermenschen unterteilten.

Ich konnte wirklich nicht mehr. Ich konnte dieses Verhalten nicht mehr rechtfertigen.
Also wurde ich zunächst offiziell Vegetarier. Und schon kamen die ersten negativen Rückmeldungen.

"Das schaffst du doch nie!"
"Du weißt aber, wie ungesund das ist, oder?"
"Man muss doch Fleisch essen, wegen Eisen und so!"
Wenigstens fielen mir meine engsten Freunde nicht in den Rücken. 

Zunächst ging ich gar nicht auf diese Statements ein. Denn ich wusste, dass ich sie wahrscheinlich anschreien würde. 

Wie man dabei nur mitmachen kann.
Wie man Tiere dermaßen quälen kann.
Wie man seine Augen vor dem alltäglichen Wahnsinn verschließen und sich assimilieren kann.

Doch mir wurde bewusst, dass ich vor nichtmal einer Woche selber so war.
Auch ich verschloss meine Augen.
Auch ich trug dazu bei, Tiere zu quälen.
Auch ich verschloss meine Augen und machte mit, weil andere mich unter Druck setzten.

Als ich an diesem Tag zu Hause ankam, war ich trotzdem wütend. 

Ich wollte nicht mehr essen. 
Ich wollte nicht mehr in unseren Kühlschrank gucken. 
Ich wollte dieses Leid nicht mehr sehen.

An diesem Tag googlete ich weiter. Paradoxerweise wurde ich Vegetarier, hatte mich aber noch nicht damit beschäftigt, wie Fleisch "hergestellt" wurde. Ich hatte nur ganz dunkel einige Szenen aus dem Fernsehen im Gedächtnis. Verdreckte Ställe, Tiere mit Abszessen. Tiere, die Furcht in ihren Augen hatten. Angst vor dem Tod.

Doch ich stellte mich der Herausforderung. 

Das erste Video, das ich entdeckte, war Earthlings. Ich begann, die Doku zu schauen. Und kam bis zu der Szene, in der Ferkel kastriert wurden.

Ihre Angstschreie gehen mir bis heute nicht aus dem Kopf. Sie werde mir nie aus dem Kopf gehen.

Wie schon Jahre zuvor begann ich, hysterisch zu weinen. Ich konnte diese Ungerechtigkeit nicht mehr ertragen.

Ich wollte nicht mehr.
Ich konnte nicht mehr.
Ich fragte mich, wie ich all die Jahre nur konnte. 

Wie konnte ich zulassen, dass so etwas geschieht, nur weil ich eine Scheibe Salami essen wollte?

Doch ich wusste, dass ich den Film sehen muss. Also drückte ich auf "Play".
Der Rest des Filmes war schlimmer als alles, was ich mir je hätte ausmalen können.

Am Ende war ich emotional fertig. 
Ich zitterte am ganzen Körper.
Tränen rollten mir die Wangen runter.

Doch ich musste eine Entscheidung treffen: 
Sollte ich alles vergessen, ignorieren, mich der Gesellschaft fügen und weiterhin gedankenlos tierische Produkte essen?
Oder sollte ich meinem Instinkt folgen, unbequem sein, das tun, was ich für richtig halte, und auch das Richtige ist?

Bevor ich diese Entscheidung traf, musste ich noch mehr "entlernen". Ich merkte, wie ich nicht nur über Milch und Eier angelogen wurde. 

Man braucht kein Fleisch zum Leben, fast alles enthält Proteine.
Eisen ist in pflanzlichen Produkten oft in viel höherer Konzentration enthalten als in Fleisch.
Nur tierische Produkte enthalten Cholesterin.
B12 gibt es als Supplement.

Sicherheitshalber lud ich mir eine vegane Ernährungspyramide herunter, die bis heute an meiner Türe hängt. Ich druckte Infos für meine Mutter aus, so dass sie sich sicher sein konnte, dass ich nicht tot umfallen würde.

Ich machte den Schritt.

Heute vor einem Jahr, am 15. Oktober 2011 erklärte ich meiner Mutter, warum ich vegan leben werde. Nicht nur möchte, sondern werde. Egal, was die anderen sagen.  

Glücklicherweise akzeptierte sie es. Mein engeres Umfeld nicht.
"Das schaffst du doch nie!"
"Du weißt aber, wie ungesund das ist, oder?"
"Man muss doch Fleisch essen, wegen Eisen und so!"

Doch ich gab nicht mehr klein bei. Ich darf nicht. Wegen der Tiere. Und ich werde nicht.

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